Auszug (...)
In dem circa 25-minütigen Ausschnitt konnte das dicht gepackte Publikum im ACUD-Theater vier der vierzehn Denby Variationen betrachten. Choreografin Kathleen Heil puzzelte aus ihren Lieblingsabschnitten der Tanzkritiken von Edwin Denby (1903-1983) einen Sonettenkranz. Diese Gedichtform ist ein Geflecht aus mehreren Einzelsonetten, bei denen die letzte Zeile eines Sonetts stets die erste Zeile des nächsten darstellt. Der Text wird von Hanna Mattes auf Englisch und Deutsch vorgetragen (Übersetzung ins Deutsche von Jörg Wiedemann und Kathleen Heil). Ihnen wird jeweils ein Musikstück, komponiert und live gespielt von Christoph Enzel, zugeordnet. Die zwei alternierenden melodischen Darbietungen, durch Wort und durch Saxophon, werden im hinteren Teil der Bühne aufgeführt und tänzerisch von Rossella Russolo, Irena Wiktor und Kathleen Heil begleitet.
Die vier choreografischen Kompositionen der Sonette sind ein Duett, ein Trio und zwei Soli, die fließend ineinander übergehen. Die Choreografien lassen, ähnlich den Wiederholungen von Textzeilen im Sonettenkranz, Bewegungen wiederkehren. Besonders im zweiten Sonett, getanzt als Solo von Rossella Russolo, wird die stille Konversation zwischen der Sprecherin und der Tänzerin sichtbar; das Abstimmen mit einem Blick, die Verlangsamung der kreisförmigen Beinbewegung, um bei der richtigen Silbe die maximale Ausdehnung zu erreichen. Der Tanz, der den deutschen Text bebildert, ähnelt der englischen Begleitung, ohne zu kopieren. Auch die Choreografie zu dem zugeordneten Musikstück lässt schon gesehene Bewegungen wiederkehren, ohne dass eine Dopplung entsteht. Eine Übertragung kann nie identisch sein, Bedeutungsebenen gehen verloren, andere werden beigefügt.
Die Übersetzungsarbeit, die in “The Denby Variations” in so viele Richtungen geleistet wird, wird in diesen Momenten deutlich spürbar. Der Text, der Tanz beschreibt, wird versucht, zurück in Bewegungen zu übersetzen. Die sprachliche Melodie wird als musikalische Untermalung der Körper übernommen. Der Tanz durch den Raum kann als Verbildlichung der poetischen Worte erkannt werden. Er nähert sich, in meinen Augen, stilistisch dem späten modernen und frühen zeitgenössischen Tanz Nordamerikas, und damit einer Art der Bewegung, die Edwin Denby zu seiner Lebenszeit gesehen und beschrieben hat. Hierbei stellte sich mir die Frage, inwiefern die Lücken, die bei der Übertragung von Bewegung zu Text zwangsläufig entstehen, als Chance angesehen werden können, das Repertoire zu erweitern. Welche Bewegungen können bei der Beschreibung einer mühelosen Balance entstehen, die kein klassisches Relevé (Balance auf dem Fußballen) beinhalten?
Die Übersetzung von Tanz zu Wort und wieder zu Tanz. Und ich sitze nun hier vor meinem Computer und versuche, das Ganze wieder in einen Text zu übertragen. Schichten über Schichten entsteht hier eine Beschreibung des Gefühls, dass gerade die Unmöglichkeit, Tanz in Worte zu fassen, den Versuch, es dennoch zu tun, so aufregend macht.
“Die Kunst des Tanzens muss für manche Menschen manchmal eine reale Angelegenheit sein.” Edwin Denby