ACUD-Theater in den Medien

Tanzschreiber

Ich habe das gleiche Muttermal wie mein Vater

von Maria Ladopoulos

22.07.2024


© Susanne Slot

Paralelo Teatros Tanztheaterproduktion CONSTELLATIONS von Alejandro Rodriguez und Dana Sánchez-Graham behandelt die Beziehung zwischen Mexiko und den USA und die Familiengeschichten, die sich als Folge in die Körper einschreiben. Die Wiederaufnahme fand am 17. und 18. Juli 2024 im ACUD-Theater statt.


Cumbiarhythmen und die tiefe Stimme des Musikers René Gamez hallen durch das Treppenhaus. Je höher ich Richtung Theatersaal aufsteige, desto deutlicher wird auch das Jauchzen und Jubeln, das sowohl aus dem Publikum als auch von der Bühne erklingt. Alejandro Rodriguez tritt an die Bühnenkante und berichtet von der Aufregung, die sich in seinem Körper angesammelt hat: ñañaras. Die Übersetzungsvorschläge ins Englische aus dem Publikum scheinen das Gefühl nicht eindeutig zu beschreiben, doch die schüttelnden Hände, das Zittern, was durch den Körper jagt, geben mir das Gefühl, genau zu wissen, was ñañaras ist.


René Gamez steht in der hinteren Ecke des Saals an einer Art DJ-Pult und begleitet die nächste Musik auf einer kleinen Handtrommel. Auf der Bühnenfläche tanzen Dana Sánchez-Graham und Alejandro Rodriguez zum Rhythmus. Wiederholt stützen sie die Handrücken in die Taille, flattern mit den Ellenbogen, wie mit lahmen Flügeln und bewegen dabei den Kopf vor und zurück. Was zu Beginn nur entfernt an Hühner erinnert, wird schon bald durch Geräusche illustriert. Gackernd und mit weit aufgerissenen Augen laufen sie über die Bühne, bis Dana Sánchez-Graham die Rolle der mexikanischen Dorfbewohnerin und ihrer eigenen Großmutter Lydia einnimmt, die versucht, ihre Hühner in Schach zu halten. Lydia hat einen Brief aus den USA erhalten. Der auf Englisch geschriebene Brief wird von einer Person im Publikum vorgelesen und für Lydia ins Spanische übersetzt. Die Absenderin schreibt, dass sie bald ihren Schulabschluss macht, Lydia so gerne besuchen würde, aber nicht darf. Sie schreibt, dass es doch so viel einfacher wäre, wenn Lydia einfach Englisch lernen würde. Im nächsten Moment ist sie wieder sie selbst. Erzählt davon, diesmal auf Englisch, wie sie ihr Spanisch verstecken sollte, wie es nur noch zur Sprache der Rebellion und des Feierns wurde, während Englisch ihre professionelle, seriöse Seite begleitete. Gleichzeitig schrubbt sie sich die Arme in einem Eimer Wasser so intensiv, als wolle sie sich die Farbe von ihrer Haut kratzen.


Dana Sánchez-Graham und Alejandro Rodriguez bewegen sich frei durch die eigene Familiengeschichte. Die Erlebnisse der Vorfahren sind verankert in ihrer Gestik und Mimik, in der Form ihrer Beine und der Anordnung der Muttermale. Die ewige Politik der Ausgrenzung und Rassenideologie bohrt sich in Stammbäume und hinterlässt seine Spuren an den neuen Ästen und Zweigen. CONSTELLATIONS erzählt von der Kolonialgeschichte und der Grenze zwischen Mexiko und den USA. Politische Ereignisse verschwimmen mit Familienerzählungen, Vergangenheit verschwimmt mit der Gegenwart. Trotz (oder sogar wegen) der Spezifität der Geschichte ist das 50-minütige Tanztheaterstück in vielen Momenten nachempfindbar und lässt mich an Erzählungen meiner Familie denken. Insbesondere das Nutzen von Sprache sticht in der Performance hervor. Der Tanz und die Bewegung werden als dritte Sprache und Übersetzungshilfe zwischen Englisch und Spanisch eingesetzt und beschreiben damit deutlich die Momente, in denen Vokabeln durch Gestik und Mimik ersetzt werden, in denen kulturelle Unterschiede an Handbewegungen sichtbar werden.

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