Backstage Blog

Sonntag, 29. Januar 2023

Interview zu "Portrait OF Ukraine" gespielt im Dezember 2022

Der Theaterleiter Felix Goldmann interviewte am 2.Januar 2023 die junge ukrainische Videokünstlerin und Performerin Olena Avdieieva und ihren Arbeits- und Lebenspartner, den Musiker Serhii Avdieiev, die in der Formation minimum duo zusammenarbeiten. Olena Avdieieva ist als Stipendiatin des Berliner Kultursenats seit August 2022 im Acud zu Gast. Ihr Ehemann und Arbeitspartner lebt aufgrund ukrainischer Bestimmungen weiterhin in der Ukraine und konnte nur mit Sondererlaubnis für kurze Zeit nach Berlin kommen.
Im Dezember 22 stellten minimum duo ihre Performance "Portrait OF Ukraine" als eine Art Livekino - Performance im Acud Theater vor.
Das Publikum sah drei separate audiovisuelle Erzählungen über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Ukraine, die währenddessen live entstanden.

Felix: Wie habt Ihr die Zusammenarbeit über diese große Distanz bewältigt und hat sich  Eure Arbeit unter diesen neuen Bedingungen verändert?
Olena: Wir haben viele Zoom Meetings gehabt. Es war irgendwie irreal, wie wir die Besprechungen in unserer täglichen Routine unterbrachten. Wir tauschten uns darüber aus, wie wir darüber berichten können, was in der Ukraine tatsächlich geschieht. Es ist schwierig für uns, in diesem digitalen Format einander alles mitzuteilen, wie wir es sonst tun, es gibt so viele Gedanken und Ideen. Jede Woche tauschten wir uns ein paarmal aus, manche Ideen haben wir angenommen, manche verworfen. Wir dachten über Bilder,  Sounds, Material usw. nach.  Es war prinzipiell dasselbe wie in der Ukraine im direkten Austausch, aber eben jetzt mit der Zoom Technologie.

Felix: Die direkte Kommunikation ist wahrscheinlich einfacher, es ist leichter sich auszutauschen. Andererseits lebt ihr derzeit in unterschiedlichen Realitäten. Du weißt nicht wirklich, was in der Ukraine los ist, Olena, Serhii, Du nicht, wie Olena in Berlin lebt.
Serhii:
Das ist einer der Gründe, weshalb die Kommunikation schwieriger geworden ist,  sie ist hier, es geht ihr gut, und ich lebe unter Raketenangriffen..
Olena: Er lebt unter diesen schlimmen Umständen, manchmal gibt es Streit während der Zoom Meetings. Aber ich denke, schwieriger ist es, mit den Ideen und künstlerischen Impulsen, die während der Meetings auftauchen und die man ja schwer vorher planen kann, über diese Distanz hinweg umzugehen. Wenn wir zusammen sind, dann nehmen wir gegenseitig unsere Ideen auf und lassen uns auf sie ein, gehen mit dem Ideenfluss mit.  Das ist wichtiger als unsere jeweilige  Lebenssituation.

Felix: Ihr probiert sicher normalerweise unmittelbar aus, ob Ideen funktionieren oder nicht, was ja jetzt nicht geht. Möglicherweise braucht alles mehr Zeit..
Olena:  Unsere Performances entstehen immer aus Improvisationen, es gibt immer ein paar Richtungen, ein paar Ideen, die wir ausprobieren und die dann so nicht funktionieren  - und die wir dann wieder verwerfen. Und danach entscheiden wir, etwas anderes auszuprobieren. Manchmal sogar noch am Tag der Aufführung. Wir können immer etwas ändern.

Felix: Was hat es mit Eurem Stücktitel auf sich?
Olena: Die ursprüngliche Konzeption unserer Performances war, ein kleines Porträt des jeweiligen Spielortes zu entwerfen. Wir kamen immer zwei, drei Tage vorher in die Stadt, haben unsere Kamera und den Soundrecorder benutzt und Bilder und Klänge eingefangen.  Hier für Berlin haben wir uns dafür entschieden,  ein Porträt der gesamten Ukraine vorzustellen.

Felix: Waren Eure Performances vor dem Krieg weniger politisch als jetzt?
Olena:
Unsere Gruppe hat ohnehin eine sozialpolitische Färbung, nicht so stark wie heute, aber auch vorher haben wir soziale Probleme abgehandelt oder Lösungen vorgeschlagen.
Serhii: Olena hat viele verschiedene Projekte mit Künstlern und Regisseuren realisiert. Nach der Revolution und nach der Krimbesetzung von 2014 haben beinahe alle unsere Projekte - außer denen für Kinder - eine stärkere politische Ausrichtung gehabt.
Alle Themen basieren auf sozialen und politischen Geschichten, weil diese in der Luft liegen. In den Trams, den Zügen, in den Straßen kann man die Leute über solche Fragen reden hören. Deshalb reflektieren wir diese Tatsache in unseren Stücken.
Olena:
Sogar in Kinderstücken sprechen wir manchmal über die Situation; allerdings in Metaphern, nicht direkt. Weil es jetzt wichtig ist. Jetzt beschäftigen wir uns mit solchen grundsätzlichen Fragen wie: was ist das Leben, was bedeutet es in Kriegszeiten zu leben.

Felix: Was ist live in den Performances und was ist vorproduziert?
Olena:
  Die Dramaturgie ist vorgegeben. Prolog, 1., 2. und 3.Teil und Epilog. Selbstverständlich sind Videos vorproduziert, Untertitel. 
Serhii:
Die Zusammenstellung, der Schnitt einiger Teile des Videos findet live statt und hängt auch von meiner Musik ab. Wenn Olena eine Veränderung in meiner Musik wahrnimmt, reagiert sie mit gewissen Effekten und Schnitten darauf. Die Choreografie der Videoteile hängt von meiner Musik ab. Sounds vom I phone bereite ich vor, Audio Messages von unsren Freunden. Ich bereite Noten vor, meine Liveperformance setzt sich zusammen aus verschiedenen Sounds. Ich habe zwei analoge Synthesizer zur Verfügung, die mit dem Computer synchronisiert sind und ich entscheide während der Performance nach Gehör, was ich an Klängen usw. benutze. Mit welchen Effekten ich die Sounds bearbeite usw.  Und ich kann sehen, was in dem Video gerade stattfindet.  Manchmal kann ich zu Olena sagen, nach 30 Sec stoppe ich die Musik und sie antwortet: okay. Wir schauen uns an und hören gleichzeitig auf.  Manchmal sind wir sehr entsetzt über schlechte Neuigkeiten aus der Ukraine, wenn wir Nachrichten einblenden, dann manchmal, wenn unser Freund im Video tanzt und es sich anfühlt, als wäre er in einem Club, dann stehe ich automatisch auf, fühle den Rhythmus.. alles hängt immer von der inneren Verfassung ab.  Manchmal, wenn wir in einer düsteren Stimmung sind, ist das Ganze düster. Manchmal ist die Performance hoffnungsvoller.
Olena:
Unser Konzept ist es, Kunst ohne sichtbare Künstler zu kreieren. Deshalb sitzen wir für den Zuschauer nicht sichtbar hinter dem Vorhang.

Felix: Manchmal war ich während Eurer Performance unsicher, ob eine Figur, ein Schatten, die auftauchen, live oder in einem Video stattfinden.
Serhii: Ja, wir staunen selbst oft darüber, wenn solche Dinge passieren.
Olena hatte vor der Vorstellung die Idee, dass an manchen Stellen das Licht auf uns gerichtet wird, ohne Video, so dass die Zuschauer uns sehen können. Aber dann haben wir uns dafür entschieden, das bei dieser Performance, mit diesem Material, mit den Audiobotschaften unserer Freunde nicht zu machen. Lediglich am Schluss der Performance werden wir sichtbar. Wir wollten diese Performance nicht mit Lichteffekten sozusagen splitten, denn es wäre für das Publikum wie eine Art split, das Video auszumachen und das Licht auf uns zu richten. Vielleicht werden wir das in anderen Performances benutzen. Mit Stroboskop usw. haben wir etwas Ähnliches in Charkiw gemacht. Auch mit einem Projektor aus dem Zuschauerraum heraus auf die Bühne haben wir gearbeitet, aber da hat uns das Publikum nicht gesehen. Nur an einer bestimmten Stelle waren wir sichtbar.

Felix: Wir hören in den Medien viel über den Krieg, aber letztlich ist er für uns hier doch eine mentale Angelegenheit, da uns die Erfahrung des Kriegs fehlt.
Serhii:
Was man sich hier kaum vorstellen kann, ist diese Angst, diese Todesangst, die einen immer wieder überfällt. Wir sind aus dem Zug in Lwiw gestiegen, Olena und ich, und da kam eine Rakete auf uns zu geflogen, über uns, direkt über unsere Köpfe flog sie und schlug irgendwo hinter uns ein. In dem Moment dachte ich, das war es jetzt, jetzt sterben wir. Danach sagte ich zu Olena, Du musst sofort weg von hier.

Felix: Ich bedanke mich herzlich für Eure Zeit und die ausführlichen Antworten.

Mit freundlicher Unterstützung von: