Freitag, 29. Dezember 2023
Theater ist nicht tot zu kriegen! Natürlich ist diese Aussage eine Plattitüde, trotzdem hält sie einem Realitätscheck immer noch mühelos stand. Auch das ACUD Theater hat sich in den letzten drei krisengeschüttelten Jahren als resistent gegenüber Viren in jeglicher Form, resistent gegenüber euro - und anthropozentristischen Verengungen, rigoros kulturpessimistischen Sichtweisen und doktrinären künstlerisch – ideologischen Tendenzen erwiesen! Alles auf Hoffnung hieß unsere Devise für die neue Spielzeit ab September 2023 - und sie wird uns noch eine Weile ins neue Jahr hinüber tragen.
Im Sinne einer „kritischen Auseinandersetzung“ mit dem Anthropozentrismus hat das ACUD Theater auch im Jahr 2023 einen Vertreter nicht menschlicher säugetierischer Zeitgenoss:innen, den Bären - durch Vermittlung seiner Mentorin Lena Binski - ausgiebig zu Wort kommen lassen: WHY NOT THE BEAR? #theCage wurde im Acud Theater als partizipative Installation und immersive Performance, bei der das Publikum die Rolle der Zoobesucher:innen übernahm und gleichzeitig Improvisationsimpulse und Ideen für die Darstellerin lieferte, entwickelt und zur Premiere gebracht, im Mai 2023 für das PAF Festival wieder aufgenommen und unter großem Zuspruch 4 mal gezeigt.
Seit Beginn des ersten tschechisch deutschen Kooperationsprojektes PerformanCZe ExchangeD vor fünf Jahren ist das gegenseitige Interesse ständig gewachsen, werden künstlerische Impulse voneinander aufgenommen und hat sich der künstlerische Austausch vom Tanztheater aus auch auf andere Formen des theatralen Ausdrucks ausgedehnt. Mittlerweile ist das ACUD Theater für Prager unabhängige Künstler:innen ein Geheimtipp geworden. Im November dieses Jahres war die Prager Gruppe Handa Gote Research and Development mit ihrem Stück Burgán über ein Trio von Matadoren, das versucht die „normale“ Weltordnung wieder her zu stellen, im Acud zu Gast. An der nonverbalen Produktion wirkten die Autoren und Performer Hybler, Dörner, Procházka, Svatoš, Švábová, Havlová, Němec, Skála mit. Burgán (burgunda, burgyne, burkón, burak, burka) - ist eine regionale Bezeichnung für die Futterrübe.
Eine andere, sehr produktive Zusammenarbeit mit dem polnischen Kulturverein Kultur Schmuggel e. V. wurde auch in diesem Jahr unter den Titeln HERBSTbrücke und NACH DEM NICHTS erfolgreich fortgesetzt. Gezeigt wurden die Stücke: Słoń / Elefant, ein Solostück mit Dariusz Siastacz, Baszert. Dziewczyna z Nowolipek, ein Solostück mit Karolina Miłkowska-Prorok, Frau Arndt ist systemrelevant, ein Solostück mit Celina Muza, Von Wölfen und Menschen von Przemysław Wojcieszek und Keine wilden Erdbeeren von Przemysław Wojcieszek.
Das Goethe Institut im Exil bezog im August 2022 sein Büro über dem Theater. Das vereinfachte die schon seit einiger Zeit bestehende konstruktive Zusammenarbeit erheblich. Anfang Juli 23 wurde – nach dem Schwerpunkt Ukraine 2022 - ein weiteres Festival - diesmal mit dem Schwerpunkt Afghanistan – durchgeführt.
Das dreitägige Festival GOETHE-INSTITUT IM EXIL- Afghanistan bot ein interdisziplinäres Programm mit Elementen der traditionellen und der zeitgenössischen afghanischen Kultur; auch aktuelle Diskurse der Diaspora wurden aufgegriffen. Ein Schwerpunkt war die Sichtbarmachung der vielfältigen weiblichen und diversen Kunst- und Kulturproduktion Afghanistans. Ein öffentliches Kunstwerk lud zur Partizipation ein, Theater-Performances, Filme, Konzerte, Lesungen, Workshops und Veranstaltungen für Kinder rundeten das Programm ab. Der afghanische Puppenspieler und Schauspieler Abdul Haq Haqjoo und der deutsche Puppenspieler Lutz Grossman zeigten unter dem Titel Hassan im Glück ihre Version des Grimm-Märchens „Hans im Glück“, die die Situation in Afghanistan reflektiert. Das Theaterensemble AWA präsentierte die Theaterperformance Furcht und Hoffnung, in der sich auf Wunsch ihrer Eltern neun junge Afghan*innen auf den Weg nach Europa machen. Die Theaterperformance Shar-e Naw in Berlin der afghanischen Schauspieler:innen, Künstler:innen, Autor:innen Mina Jawad und Torkan Omari handelte von zwei afghanischen Frauen, die in der Unterschiedlichkeit ihrer Voraussetzungen und Positionierungen ein situatives Bild der Vielfalt innerhalb der afghanischen Diaspora wiedergeben.
Zum ersten Mal fand im ACUD Theater ein Festival russischer Autor:innen und Theatermacher:innen statt, die sich kritisch mit dem russischen Überfall auf die Ukraine, mit der russischen Außen- und Innenpolitik und mit der totalitären gesellschaftlichen Entwicklung in Russland auseinandersetzen.
Das unabhängige Dramaturgiefestival Lübimovka-Echo. Berlin ist ein Nonprofit-Projekt internationaler russischsprachiger Autor:innen. Das 2-tägige Programm umfasste acht Stücke der Lübimovka-Antikriegsliste. Darunter waren sowohl Stücke von Anfänger:innen als auch von bekannten Autor:innen. Das sehr umfangreiche Programm ist hier nachzulesen: LÜBIMOWKA-ECHO. BERLIN
Ein anderes Festival, das Queer*Feministische Deutsch-Französische Theaterfestival Le Lampenfieber fand in diesem Jahr bereits zum 2. Mal im ACUD Theater statt.
LE LAMPENFIEBER will Nachwuchskünstler*innen fördern und die Reflexion über queer*feministische intersektionale Themen anregen. Zur diesjährigen Ausgabe eingeladen waren Künstler*innen, die sich für mehr Inklusion und Diversität einsetzen.
Le Lampenfieber beschreibt sich als queer*feministisch und intersektional, „Weil Feminismus auch die vielfältigen Facetten von Unterdrückungssystemen wie Rassismus oder Klassismus mitdenken muss und ausdrücklich LGBTQIA+ einschließt“. Es ist als politisches Festival und zugleich als Feier, Begegnungsraum und Stellungnahme gedacht.
Im Rahmen eines vom Berliner Senat initiierten Fellowship Programms entwickelten zwei junge ukrainische Theater / Performance Künstler:innen, die audio-visuelle Künstlerin und Regisseurin Olena Avdieieva und die Regisseurin Anna Motyka auch in diesem Jahr wieder jeweils eine Produktion und zeigten diese im ACUD Theater.
Olena Avdieieva und Serzh Avdieiev präsentieren im ACUD Theater am 7. 7. 23 mit der Künstler:in INGRET als minimum_duo & INGRET die auf der Grundlage moderner ukrainischer Kriegslyrik entwickelte audio-visuelle Aufführung UKRAINIAN WAR POETRY.
Jeder Mensch in jedem Land hat allen Menschen gemeinsame Fragen zum Leben. Was bedeutet der Krieg für uns? Was ist das - Heimat? Was bedeutet es, ein Flüchtling zu sein? Kann Kunst den Krieg beeinflussen? Kann der Krieg die Kunst inspirieren? Kann Kunst an der Frontlinie existieren?
Dieses Projekt wurde auf der Grundlage von Texten der Autor:innen Serhii Zhadan, Halyna Kruk, Oleg Kadanov und Ingret Kostenko entwickelt. Es wurden poetische Texte und Videocollagen in Kombination mit authentischem Live-Gesang, elektronischen Instrumenten und Klavier zu einem Gesamtkunstwerk zusammen gefügt und von einer experimentellen Szenografie umrahmt.
In der Regie von Anna Motyka präsentierte die STATION- Theaterwerkstatt für Jugendliche aus der Ukraine in Berlin eine Performance-Installation mit dem Titel Space.Transformation.
Wissen Sie, wie sich Berlin anhört? Wenn Sie sich die Stadt als Lebewesen denken, wie würde dieses auf Sie wirken?
Das Hauptziel des Forschungsprojekts SPACE.TRANSFORMATION war es, mittlerweile in Berlin lebende Jugendliche aus der Ukraine, die durch den Ausbruch des Krieges ihre Heimat verloren haben, den Raum Berlin für sich überdenken und auch neu erfinden zu lassen.
Es spielten die Teilnehmer:innen der Theaterworkshop-Gruppe "STATION".
Am Ende eines erfreulich erfolgreichen Theaterjahres fand noch einmal ein interessantes Recherche Projekt unter dem Titel Sterbehilfe für Europa – den Nationalstaat beerdigen im ACUD Theater statt. Es handelt sich um ein performatives kollektives Langzeitprojekt, das versucht die Behauptung einer (Werte-) Gemeinschaft, auf der die Europäische Union angeblich beruhe, und Nationalstaatlichkeit und nationale Identitäten als ideologisch- politische Konstrukte zu hinterfragen. 27 verschiedene Kollektive, eines für jedes EU-Mitgliedsland, sollen zusammen eine neue Form von Gemeinschaft erarbeiten, die nicht auf Ausgrenzung und Ausbeutung basiert.
Alle unsere vergangenen Aufführungen können hier gesehen werden: ACUD THEATER ARCHIV